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"Ungebunden" von Malin Lindroth



Worum geht’s?

Malin Lindroth wendet sich in ihrem Essay (yes, es ist kein “Buch” in dem Sinne) gegen das Narrativ der glücklichen Single-Frau* (wer kennt sie nicht: alleinstehend, erfolgreich und TOTAL happy damit), die in sämtlichen Lifestyle-Magazinen und auf Entrepreneurship-Plattformen Hochkonjunktur zu haben scheint. Stattdessen beansprucht Lindroth den Status der “alten Jungfer” für sich und will diese stereotypisierte Gestalt am Rande der Gestalt neu empowern. Lindroths Ansatzpunkt ist dabei: In unserer Gesellschaft gibt es quasi keinen Raum für diejenigen Frauen, die unfreiwillig alleine geblieben sind. Also, jene Frauen*, die eigentlich eine feste Partnerschaft wollten, aber durch eine Verkettung von Umständen oder einfach durch unglücklichen Zufall nie in einer solchen Position gelandet sind. Malin Lindroth bezeichnet sich selbst als so eine “alte Jungfer” und will, dass ihre Geschichte ebenso erzählt und gehört wird, wie die aller anderen. Single-Frau zu sein heißt schließlich nicht automatisch, sich diesen Status bewusst ausgesucht, oder die Karriere über die Beziehungskiste gestellt zu haben. Für Malin Lindroth bedeutet ihr Single-Dasein v.a.: Einsamkeit, Stigma und ein abgewandter Blick der Gesellschaft, weil sie (involuntarily) weder ins Pärchen-Bild noch ins glückliche-Single-Bild passt. Interessant ist dabei, dass Malin Lindroth selbst ursprünglich mal verlobt war, also ihr das Schicksal einer “alten Jungfer” einst selbst so entfernt schien wie nur irgend möglich.


"Was ist so provokant an der alten Jungfer? Eine Erklärung ist vielleicht, dass diese Gestalt alle Ängste unserer Zeit auf sich vereint." ("Ungebunden" - Malin Lindroth)

Gelesen auf: Deutsch

Nase zwischen den Seiten: 3 Abende

Seitenanzahl: 112

Preis: 12,00€ (D)

Erschienen im Oktober 2020 bei PIPER, mit Vorwort der deutschen Journalistin Teresa Bücker

ISBN: 978-3492317016


Tipps & Tits

Irgendwie hatte ich nach dem Lesen das absolute Bedürfnis, Malin Lindroth zu googeln. Und mir jedenfalls hat es gut getan, ein Gesicht und ein bisschen zusätzliches Hintergrundwissen zu ihr zu haben. So ganz ohne ein Bild zu ihr war es für mich ein wenig so, als würde eine unsichtbare Stimme zu mir sprechen bzw. als würde ich in einen gesichtslosen Bildschirm auf Zoom hineinstarren (Wer kennt’s? Hoch die Hände, bald hoffentlich Corona-Ende!).


Boobscore: 3 von 5 Boobs ( • ) ( • ) ( • )

In Bezug auf Ungebunden habe ich mir echt schwer damit getan, überhaupt eine Rezension zu verfassen. Ursprünglich wollte ich den Text unbedingt lesen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass er kein hohes Boobscore-Potenzial hat. Das Ding ist, dass Malin Lindroth echt richtig interessante und legitime Ideen hat und dass sie mit Mut ihre Sichtweise auf die Welt und speziell ihren eigenen gesellschaftlichen Status vorträgt. Dafür absolut großen Respekt! Und ich finde auch, Malin Lindroth und andere Frauen* in ähnlichen Situationen sollten absolut gehört werden. Die FAZ selbst nannte Lindroths Essay einen “Befreiungsschlag”. Als Frau in langjähriger Partnerschaft will ich nicht behaupten, dass ich mich besonders gut in die Rolle der “alten Jungfer” hineinversetzen kann, aber ich hatte auch abgesehen davon sehr schwer Zugang zum Content des Manifests. Das liegt daran, dass mir Malin Lindroths Thesen oft zu simpel gestrickt waren bzw. die Dinge, wie sie sind, mir zu einseitig dargestellt wurden. Das Wort “Schicksal” fiel beispielsweise relativ häufig und das hat mich ein wenig allergisch gestimmt, da ich allzu oft den Eindruck hatte, dass es einfacher war, der Welt, den Umständen und der Gesellschaft die Schuld am Status der “alten Jungfer” zu geben, also sich selbst in die Opferrolle zu begeben, statt aufzustehen und aktiv etwas dagegen zu tun. Klar, das gibt niemand gerne zu, aber so einfach erklärbar finde ich die “Lage” der unfreiwilligen Single-Frauen* dann doch nicht.


"[Die alte Jungfer] ist nicht nur allein, alt, kinderlos und ganz allgemein diejenige, die nichts abbekommt. Sie hat nicht mal Anstand genug, sich mit ihrer Lebensführung in das übliche Narrativ der Gegenwart einzupassen." ("Ungebunden" - Malin Lindroth)

Das Konzept, die alte Junger neu zu denken und zu entstigmatisieren, ist ein interessanter Ansatz und birgt sicherlich Potenzial. Aber auch hier war mir nach Lesen des Essays nicht ganz klar, ob a) der Begriff wirklich der treffendste ist, da er implizit ein gewisses Bild von nicht vorhandener sexueller Aktivität beinhaltet (was diesen Frauen* gegenüber gewiss nicht fair oder auch faktisch korrekt ist) und b) welche Agenda die “alte Jungfer” eigentlich hat bzw. was durch die Entstigmatisierung oder die neue Beanspruchung dieses Status wirklich bezweckt werden soll. Kurz: Für mich waren im Essay zu viele lose Fäden, die insgesamt vielleicht mal ein großes Ganzes ergeben könnten, aber für mich hat’s in Bezug auf den Status der allein gebliebenen Frauen* nicht wirklich “Klick” gemacht. Ist eigentlich eher eine Meinung als ein klassischer Boob Score-Text. Aber, wie gesagt, ich hab mich echt schwer getan. Besser wird’s nicht, I’m afraid.


Literarisches Feuerwerk?

Nicht wirklich. Also lesen tut es sich nicht schlecht, aber Lindroth bringt manchmal (wenigstens für mich) unverständliche Vergleiche und Metaphern rein, die mir jedes Mal den Lesefluss zerhauen, sodass ich hinterher erst Zeit brauche, um den Faden wieder aufzugreifen.


Stoff zum Nachdenken

Auch wenn ich echt nicht jedem Punkt zustimme, den Lindroth in Ungebunden so aufstellt, finde ich ihre Idee sehr smart und attraktiv, das Konzept der “alten Jungfer” neu zu beleben. In der Tat ist das Bild, was wir von dieser Figur haben - frigide, alt, einsam, meschugge - nur ein weiterer Mechanismus, mit dem Frauen*, die halt nicht ins Gesamtbild passen wollten, an die Grenzen der Gesellschaft gedrückt werden und wurden. Und da kann es schon Sinn machen, diesen Begriff neu zu definieren und neu zu denken. Was ich allerdings fehlleitend finde, ist “Jungfer” in seiner etymologischen Grundbedeutung beizubehalten, also unverheiratete und damit allein gebliebene (adlige) Frau oder Witwe, weil das einfach nicht mehr zeitgemäß ist und zudem die sexuelle Aktivität der Frau total ausgeklammert wird.


Bestes Geburtstagsgeschenk für…

… alle “alten Jungfern” aus eurem Umkreis. Falls euch da niemand einfällt (laut einem taz-Artikel von 2007 ist diese Spezies so gut wie ausgestorben): Ich persönlich fand es bereichernd, den Artikel als eine Person zu lesen, die in langer Partnerschaft lebt. Öffnet einem die Augen dahingehend, wo man doch manchmal einen blinden Fleck hat.


Happy Hour

Irgendwie passt zur Lektüre ein kräftiger Kräuterschnaps. Jedenfalls hat meine Oma mir den beim Lesen hingestellt. Und Oma hat schließlich immer recht.


Zu dieser Lebenslage passt das Buch

Da gibt’s eigentlich nicht die Lebenslage. Fand die Lektüre irgendwie entspannend, während es draußen immer früher dunkel wurde und der Wald noch gold-herbstliches Laub getragen hat (ja, möglicherweise habe ich die Rezi schon im Herbst 2020 geschrieben). Aber hey, ich hab’ das Buch auch nur in dieser Lage gelesen und kann’s daher nicht wirklich für eine andere Situation beurteilen.


A little Bio never killed nobody

Malin Lindroth, Mitte 50, studierte ursprünglich an der Uni Göteborg Psychologie und Philosophie. Inzwischen arbeitet sie als Autorin, Kulturjournalistin und macht dazu auch noch Dramaturgie. Für ihre Werke erhielt sie u. a. den renommierten Aftonbladet-Literaturpreis. Ein richtig gelungenes Interview mit ihr zu ihrem Buch und ihrer Idee der Neudefinition der “alten Jungfer” findet sich in der ZEIT.


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