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"Sagte sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht" von Lina Muzur (Hg.)



Worum geht’s?

Triggerwarnung: Manche Kurzgeschichten handeln von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung.


Wie der Titel schon verrät: Der Band versammelt 17 Kurzgeschichten verschiedener Autorinnen zu den Dynamiken zwischen Macht und Sex. Dabei zeigt jede Story mit individuellen Handlungen, Charakteren und Schreibstilen auf, wie vielschichtig die Verbindungen zwischen diesen beiden Begriffen sind. Im Vordergrund steht dabei vor allem die Frage nach Macht im Zwischenmenschlichen: Wie zerbrechlich Macht ist, wie schnell sie sich zugunsten des einen oder des anderen verschiebt, wie sie zu Zwecken der Manipulation eingesetzt werden kann, wie sie unsere Leben bestimmt. Und wie Sex und Begehren mit Macht verbunden sind - sowohl positiv als auch negativ.


Zum Beispiel erzählt eine Geschichte von der Außenseiterin in einer Kommune, die als Einzige keinen Sex mit den anderen haben möchte, aber den Ehemann der Kommunen-Queen begehrt. In einer anderen Story stellt eine Frau sich einem fiktiven Gericht vor, nachdem sie auf der Arbeit sexuell belästigt wurde. Und wieder in einer anderen Geschichte geht es um Gewalt zwischen Kindern und die Machtlosigkeit von Eltern.

"Den 28.1. habe ich mir gemerkt, denn seit dem 28.1. denke ich, wie gesagt, über meine Schuld nach. Denn mir, diesem Flittchen, mir hat es doch gefallen, wie er mich im Büro angeguckt hat." ("Setzen Sie sich!" - Antonia Baum)

Ihr merkt schon: Es ist echt nicht ganz trivial, den Inhalt des Buches auf seine Essenz einzudampfen. Lest es einfach, jede Geschichte lohnt sich.


Gelesen auf: Deutsch

Nase zwischen den Seiten: 4 Abende

Seitenanzahl: 224

Preis: 20,00€

Erschienen im Juli 2018 bei Hanser Berlin

ISBN: 978-3446260740


Leseerlebnis

Die versammelten Texte sind alle so vielfältig, dass man sie einerseits super portionsweise lesen kann, aber andererseits macht’s dann wiederum so neugierig, dass ich jedenfalls gar nicht mehr aufhören wollte zu lesen. Eine richtige “Lieblingsstory” hatte ich nicht, aber “Drei Mädchen" von Anna Katharina Hahn hat mich auf sie als Autorin aufmerksam gemacht.


Boobscore: 5 von 5 Boobs ( • ) ( • ) ( • ) ( • ) ( • )

Sagte sie ist ein Boob Books-Buch erster Güte! So verschieden jede Geschichte die Themen Sex und Macht auch abhandelt, machen alle Geschichten gleichzeitig auch deutlich, dass Machtverhältnisse eigentlich nie ausgeglichen sind. Meistens profitiert eine Seite, während die andere leidet, ohne sich vielleicht dessen bewusst zu sein. Das steht auch in Verbindung zum Titel Sagte sie, was angelehnt ist an das englische Proverb “He said - she said”, was so viel bedeutet, dass es nie nur eine Sichtweise auf die Dinge gibt. Trotzdem wird bevorzugt eher die Stimme des Mannes gehört. Sie zählt in der Gesellschaft mehr als die der Mutter, der Schülerin, des obdachlosen Mädchens.

"Ja. Ich sag jetzt nur noch ja. Ja, wenn der Junge meiner Tochter zwischen die Beine fasst. ... Meine Tochter lächelt noch immer, bis sie weint, und weint immer, bis sie lächelt." ("'Das haben Sie nicht gesagt' - Monologe aus dem Dazwischen" - Nora Gomringer)

Im Fokus der Kurzgeschichtensammlung stehen daher vor allem: Frauen* und zwar deswegen, weil sie in den Geschichten - zumindest meistens - auf der Seite der Machtlosen stehen. Sie haben zu kämpfen mit Erfahrungen von toxischen Beziehungen, sexueller Belästigung und Vergewaltigung. Sie wissen nicht, wo sie Hilfe suchen sollen, an wen sie sich wenden können. Ob sie überhaupt das Recht haben, aufzubegehren. Daher lassen einige Geschichten auch das lähmende Gefühl von absoluter Hilflosigkeit zurück, zumindest ging’s mir beim Lesen so. Trotzdem gibt’s auch Geschichten, in denen die weiblichen Charaktere zu Täterinnen werden. Das Geflecht von Sex und Macht hat nie nur einen Blickwinkel, sondern ist eben komplex.


Einfach dadurch, dass viele Begebenheiten erzählt werden, die nicht total absurd oder fantastisch sind sondern eben alltäglich, macht der Band bewusst, wie sehr Sex und Macht mit unserem Alltag verwoben sind, dass man diesen Gefügen ständig ausgesetzt ist und wie oft Frauen* eben in diesem Gefüge die schwächere Position besetzen. Was mir gefehlt hat, war mehr Diversität: in Bezug auf die Frauen*, in Bezug auf die Milieus. Aber vielleicht brauchen wir hier einfach noch eine zweite Kurzgeschichtensammlung von Hanser.


Literarisches Feuerwerk?

Definitiv, was in diesem Fall ein besonderes Lob an die Story-Collection ist, da immerhin 17 verschiedene Geschichten mit 17 verschiedenen Schreibstilen darin enthalten sind. Aber jede ist für sich wirklich interessant, super geschrieben und halt einfach einzigartig. Bei jeder Autorin* kommt der individuelle Ton durch. I love(d) it!


Stoff zum Nachdenken

Wie unterschiedlich Machtgefüge sprachlich ausgedrückt und eingefasst werden können. Am Anfang dachte ich: Bestimmt geht’s in dem Buch in jeder Geschichte mehr oder weniger um dasselbe Grundthema, nur jedes Mal anders verpackt. So war’s aber gar nicht. Jede Geschichte erzählt ihre ganz eigene Version von Macht, Machtentzug und Machtmissbrauch. Besonders letzterer kann manchmal so subtil sein, dass es einem selbst kaum auffällt.


Bestes Geburtstagsgeschenk für …

… alle, die gerne zwischendurch, zum Beispiel in der Mittagspause, eine Short Story zum Thema Female Empowerment snacken!


Happy Hour

Ein ganz klassischer Milchkaffee mit extra viel Schaum.


Zu dieser Lebenslage passt das Buch

Wenn ihr euch gerade keinen ganzen 500-seitigen Wälzer antun wollt, sondern euch eher nach Short Stories für zwischendurch ist.


A little Bio never killed nobody

Die Collection versammelt Geschichten von insgesamt 17 Autorinnen. Jede einzelne wird am Ende des Buches mit einer Kurzvita vorgestellt, die wir hier nicht alle wiederholen wollen. Stattdessen zur Herausgeberin: Lina Muzur wurde 1980 in Sarajevo in Bosnien-Herzegowina geboren. Seit Juni 2020 ist sie Verlagsleiterin bei Hanser Berlin und schreibt als Teil beim Redaktionskollektiv 10 nach 8 bei ZEIT ONLINE mit. Davor war sie Lektorin für deutschsprachige Literatur bei Hanser in München und Programmleiterin Literatur beim Aufbau Verlag. Warum sie in ihrer Freizeit auch ihre Kleider lektoriert, könnt ihr in einem Interview vom Januar 2020 in der Vogue nachlesen.


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