"Regeneration" von Pat Barker
Aktualisiert: 16. Juni 2020

Worum geht’s?
Regeneration ist der erste Roman der “Regeneration”-Trilogie der britischen Schriftstellerin Pat Barker. Ins Deutsche übersetzt wurde der Titel mit “Niemandsland” - das gibt euch vielleicht einen Clue, worum es in dem Buch geht. Im Zentrum steht das Asylum Craiglockhart in Schottland für “shell-shocked soldiers”, also für Soldaten, die von ihren Erlebnissen an der Front im Ersten Weltkrieg traumatisiert sind. Der Plot dreht sich viel um Beziehungen zwischen dem behandelnden Psychiater Dr. W. H. R. Rivers (basierend auf einer realen Figur) und seinen Patienten. Rivers wählt in seiner Behandlung einen anderen Weg, als die meisten seiner Arzt-Genossen (haha, I’m so funny): Er glaubt, dass eine Gesprächstherapie besser für die Heilung der Soldaten ist, als diese mit harter Disziplin zu maßregeln. “Echte Männer empfinden keinen seelischen Schmerz” und so.
Zu Rivers Patienten zählen die bekannten britischen Kriegs-Lyriker Wilfred Owen und Siegfried Sassoon, aber auch Billy Prior, der nach einem traumatischen Ereignis an der Front, an welches er sich nicht mehr erinnern kann, verstummt ist. Durch seine Therapie gibt Rivers Prior die Sprache zurück, doch schnell wird klar, dass Priors Trauma viel komplexer ist und er noch einen langen Weg vor sich hat. Über den Verlauf der Handlung kommen Rivers immer mehr Zweifel, ob die Männer wirklich aus Schwäche zusammenbrechen, oder ob ihnen nicht vielleicht die Sinnlosigkeit des Krieges und das stereotypische Männerbild der Zeit das Genick brechen.
“Recently almost all his dreams had centred on conflicts arising from his treatment of particular patients. In advising them to remember the traumatic events that had led to their being sent [to Craiglockhart], he was, in effect, inflicting pain." ('Regeneration' - Pat Barker)
Gelesen auf: Englisch
Nase zwischen den Seiten: 4 Abende
Seitenanzahl: 252
Preis: ca. 2,75€ (D)
Erschienen im Mai 2008 bei Penguin bzw. 1997 als "Niemandsland" beim Hanser Verlag, wo auch die beiden Fortsetzungen erschienen ISBN: 978-0141030937
Tipps & Tits
Der ungewöhnliche Erzählstil des Buches, der zwischen den Perspektiven verschiedener Charaktere wechselt, irritiert euch vielleicht am Anfang (speaking for myself). Nicht zurückschrecken, einfach drauf einlassen.
“Das ist ein feministischer Literaturblog - Wo zum Teufel sind die Frauen?!” - Fair point, stay tuned. Die Frauen brauchen eine Weile, aber dann tauchen sie auf. Und Geschlechter-Stereotypen gehören mit auf diesen Blog, finden wir.
Boobscore: 4 von 5 Boobs ( • ) ( • ) ( • ) ( • )
Die Geschlechter-Schubladen im Ersten Weltkrieg sind noch stark durch den späten Viktorianismus geprägt: starr und traditionell - Männer sind aktiv, Frauen sind passiv. Männer sind geistig stark, Frauen sind vor allem - wie könnte es anders sein - HYSTERISCH (please freak out here). Das heißt: Psychische Breakdowns sind für Männer einfach nicht drin, schon gar nicht für Soldaten. Als Soldat hat man stramm zu stehen, alles zu ertragen und wie eine Maschine auf andere Menschen zu schießen. Wenn man dann doch zusammenklappt, ist man einfach “soft” und als Mann quasi gesellschaftlich untragbar. Mit diesen stereotypischen Ansichten räumt Regeneration gründlich auf: Psychologen erkennen an, dass körperliche Wunden manchmal seelischen Ursprung haben, und dass man diese nicht nur ernst nehmen muss, sondern auch, dass nicht die Wunden das Problem sind, sondern die Gesellschaft, die sie stillschweigt.
“Fear, tenderness - these emotions were so despised that they could be admitted into consciousness only at the cost of redefining what it meant to be a man.” ('Regeneration' -Pat Barker)
Frauen sind - zugegeben - eher Side Characters. Aber die, die auftreten, sind stark. Sarah, die in einer Munitionsfabrik arbeitet und eine Affäre mit Billy Prior anfängt, ist für ihr Zeitalter eine starke, unabhängige Frau: Es ist ihre Entscheidung, mit ihm auszugehen und mit ihm zu schlafen. Und sie entscheidet auch, wann und wie sie von ihm angefasst werden will - und wann nicht. Sarah ist ihrer Zeit voraus und macht uns auf den wenigen Buchseiten, auf denen sie vorkommt, klar: Auszubrechen aus dem Korsett der eigenen Zeit ist hart und erfordert Courage und Durchsetzungskraft, die wir alle auch heute in vielen Situationen noch gut gebrauchen können. Auch finde ich großartig an Regeneration, dass der Roman zwar den Ersten Weltkrieg thematisiert, aber dass es eben nicht nur um Soldaten, um Schützengräben und um offene Wunden geht. Homosexualität ist zentrales Thema aller drei Romane: Auch wenn nicht ganz klar ist, WAS jeweils zwischen den Figuren so läuft, ist doch deutlich, dass der Roman aufgreift: Neben Männlein und Weiblein gibt’s noch jede Menge andere Optionen. Die Welt wollte und will’s vielleicht nicht wahrhaben. Aber es ist nun mal so. Warum trotzdem nur vier Boobs, fragt ihr euch? Die Frauen hätten ein bisschen mehr Bühne und ein paar mehr Zeilen bekommen können.
Literarisches Feuerwerk?
Sehr! Pat Barkers Stil lässt einen direkt in das jeweilige Bewusstsein und die Gedanken der erzählenden Person eintauchen: Szenen und Bilder werden zum Greifen lebendig. Außerdem zitiert sie viel aus historischen Schriften, Tagebüchern und medizinischen Schriften, was dem Buch seine Tiefe gibt. Einfach nur toll!
Stoff zum Nachdenken
Too many things …. Der Sinn des Ersten Weltkriegs, das Ausmaß der Zerstörung, das Leiden von Millionen. Für mich stach allerdings am meisten heraus: Sowohl die Psychotherapie als auch die Existenz und die Anerkennung von Traumata haben eine Story und mussten sich erst in der Gesellschaft als Konzepte durchsetzen.
Bestes Geburtstagsgeschenk für ...
... jeden History Nerd, der auf die Vermischung von Fiktion und Realität steht. Barker zitiert immer wieder Schriften historischer Figuren und denkt sich dann wieder fantastisch reale Figuren aus. Der Unterschied ist oft so subtil, dass es kaum auffällt.
Happy Hour
Irgendwas Hartes - Scotch, Whiskey, Schnaps. In verantwortungsbewussten Mengen, hust!
Zu dieser Lebenslage passt das Buch
Wenn euch mal nach einer Geschichtsstunde der anderen Art ist. Und ihr außerdem Lust drauf habt, euch zwischen Fiktion und Fakt zu verlieren.
A little Bio never killed nobody
Pat Barker hat viele hochkarätige Unis in UK von innen gesehen: LSE und Durham Uni beispielsweise, wo sie International History studierte. Eine andere britische Spitzenautorin Angela Carter, die bestimmt auch noch auf Boob Books auftaucht, pushte sie zum Schreiben und Publizieren. Hat sich definitiv gelohnt: Barker bekam nicht nur den renommierten Guardian Fiction-Preis, sondern auch den Man Booker Prize. Verfilmt wurde Regeneration übrigens mit Jonathan Pryce im Jahr 1991.
