"Nie, Nie, Nie" von Strømsborg

Worum geht’s?
Die Ich-Erzählerin in Nie, Nie, Nie will keine Kinder. Nicht heute. Nicht mit einem anderen Partner. Nicht in einem Parallel-Universum. Sondern schlicht NIE. Das ruft sowohl in ihrem Freundeskreis als auch bei ihrer Familie immer wieder Fragezeichen hervor. Stetig wird die Erzählerin von ihrem Umfeld aufgefordert, sich dazu zu äußern, warum sie keine Kinder will. Denn einen Grund muss es ja geben, als Frau keine Kinder bekommen zu wollen. Dieses Bedürfnis danach, Mutter zu werden, wohnt doch schließlich allen Frauen* inne – oder?
In episodenhaften Abschnitten, die vom Erzählstil teils an Tagebucheinträge erinnern, schildert die Protagonistin, wie sie ihr Leben mit Mitte 30 lebt, wie sie ihre Zeit mit Arbeit, mit Freund*innen und vor allem gerne mit sich selbst verbringt. Und sie schildert, wie ihr Lebensentwurf ihre Beziehungen beeinflusst, vor allem die zu ihrem Langzeit-Partner Philip, dem sie von Anfang an kommuniziert, dass sie keine Kinder will, der aber nun zu zweifeln beginnt. Und die Beziehung zu ihrer besten Freundin Anniken, die schwanger wird und damit auf einmal nicht mehr so viel Zeit für die Ich-Erzählerin hat.
"Der Erste, der ein Kind mit mir wollte, ging an die Decke, als ich ihm erklärte, dass ich keine Kinder will. 'Bist du dir sicher?', fragte er. 'Ganz sicher.'" ('Nie, Nie, Nie' - Linn Strømsborg)
Gelesen auf: Deutsch
Nase zwischen den Seiten: 7 Abende (ginge aber auch schneller)
Seitenanzahl: 256
Preis: 11,00€ (Taschenbuch); 20€ (Hardcover)
Erschienen im April 2021 beim DuMont Verlag
ISBN: 978-3-8321-7085-1
Leseerlebnis
Nie, Nie, Nie war der erste Roman in langer Zeit, den ich so richtig, richtig durchgehend genossen habe. Die Stimme der Ich-Erzählerin ist so nüchtern-witzig, so sarkastisch, so reich an Bildern und dann wieder eine solch beruhigende Konstante, dass ich mich mit ihr wohl gefühlt habe wie schon lange nicht mehr mit einer Stimme. Vielleicht geht’s euch ja auch so?
Boobscore: 5 von 5 Boobs ( • ) ( • ) ( • ) ( • ) ( • )
Warum sollte ich dem Roman von Linn Strømsborg auch weniger Boobs geben? Als Frau* bewusst keine Kinder bekommen zu wollen, ist eins der zentralen feministischen Themen überhaupt. Und Linn Strømsborg zeigt anhand der Ich-Erzählerin greifbar nah auf, dass dabei nicht die eigene Entscheidung Konfliktpotential birgt, sondern die Gesellschaft um einen herum das Feuer anzündet. Denn jede*r hat eine Meinung zum Uterus, seiner natürlichen Funktion und der daran scheinbar automatisch angeknüpften, „gemeinnützigen“ Pflicht, die Welt (und den Partner) mit Kindern zu bereichern. Dass es eine Million Gründe gibt, warum frau* kein Kind bekommen möchte, ist die eine Sache. Viel zentraler ist aber, dass sie sich für jeden Grund, obwohl der ja immer wertfrei und sehr persönlich ist, Rechenschaft ablegen muss. Vor dem Partner, der Familie, dem Freundeskreis oder sogar dem Arbeitgebenden. Nirgends ist frau* sicher, so auch die Ich-Erzählerin in Nie, Nie, Nie, wobei sie sich nicht darum schert, was ihr Umfeld denkt. Das macht sie damit für mich zu einem absoluten Vorbild, wie mit dem Thema umgegangen werden kann. Nicht auf Diskussionen einlassen, mit Witz verbale Übergriffe abprallen lassen und nicht überreden lassen, wenn der Partner ein Ultimatum stellt. Weniger als 5 Boobs geht einfach nicht, sag‘ ich doch! ;)
Literarisches Feuerwerk?
Kein Feuerwerk, weil das nicht zum Erzähl-Stil passt. Die Erzählweise ist eher wie ein wohl geordnetes Möbel-Design-Studio irgendwo in einem skandinavischen Land: nüchtern, schön arrangiert, trotzdem bringt sie einen ständig zum Lächeln und man fühlt sich wohl dabei, die Stimmigkeit einfach nur zu betrachten.
Stoff zum Nachdenken
Letztens las ich auf LinkedIn einen Post von einer Unternehmerin, die darüber sprach, dass ab 30 der Uterus der Frau* scheinbar zur öffentlichen Diskussion steht, v. a. am Arbeitsplatz. Entweder, frau* steht unter Generalverdacht, demnächst „zu werfen“ und sich von der Arbeitsstelle in die Elternzeit zu verabschieden, oder man wird beim Vorstellungsgespräch direkt ausgesiebt. Vor allem aber sagte der Post, ebenso wie der Roman: Keine*r hat das Recht, zu fragen, ob frau* Kinder will und, wenn nein, warum das so ist. Das ging mir noch lange nach, da ich mich auch oft dieser Situation ausgesetzt sehe, vor allem im Familienkreis.
Bestes Geburtstagsgeschenk für …
… die Freundin*/Freund*, der/die vielleicht bald 30 wird (oder es schon ist; 30+ geht natürlich auch) und sich diesen Fragen stellen muss – ob gewollt oder nicht.
Happy Hour
Ist nicht die Jahreszeit dafür, aber mit Freund*innen zusammen im Hinterhof in der Sonne bei einem Bierchen chillen. Das fängt den Spirit des Buches optimal ein.
Zu dieser Lebenslage passt das Buch
Siehe Kategorie Geburtstagsgeschenk. Wobei das Buch eigentlich immer passt, denn die Fragen nach den Kids gehen schließlich meistens schon vor dem 30 Lebensjahr los, jedenfalls, wenn ihr in einer erzkatholischen Familie wie meiner groß geworden seid. ;)
A little Bio never killed nobody
Linn Strømsborg, geboren 1986, debütierte 2009 mit dem Roman Roskilde. Seitdem hat die Autorin drei weitere Romane geschrieben und arbeitet nebenher in der Presseabteilung eines norwegischen Verlags. Im Herbst 2018 war sie für das New-Voices-Programm von Norla ausgewählt. Nie, Nie, Nie ist ihr vierter Roman und der erste, der in deutscher Übersetzung erschienen ist.
