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“Mädchen, Frau, etc.” von Bernardine Evaristo



Worum geht’s?

In fünf Kapiteln werden zahlreiche Frauen* porträtiert, die sich ihren eigenen Aufgaben zu stellen haben. Amma zum Beispiel ist eine lesbische Dramatikerin of Color, die sich ihren Aufstieg hart erkämpft hat. Endlich wird die Premiere ihres eigenen Stücks „Die letzte Amazone von Dahomey“ im National Theater in London aufgeführt. Mit im Saal sitzt unter anderem ihre Tochter Yazz. Amma hat versucht, Yazz als Feministin zu erziehen, diese kann sich damit jedoch null identifizieren. Sie stellt Geschlechter als Konzept an sich infrage und ist der Meinung, wenn alle Menschen non-binär wären, gäbe es keinen Kampf der Geschlechter mehr. In den Kapiteln über Yazz wird auch sehr deutlich, dass es in ihrer Generation eine enorme Wut auf die ältere Generation gibt. Yazz regt sich über die Arroganz der Älteren auf, die sowohl den Planeten als auch aus ihrer Sicht die Chancen für junge Leute versaut haben.


Und dann gibt es da noch Dominique, die sich von einer Feministin verzaubern lässt, sich in sie verliebt, mit ihr nach Amerika zieht und sich Stück für Stück von ihrer alten Umgebung und ihren Freunden abkapselt. Schleichend entwickelt sich ihre Beziehung mit einer Frau, die sich von Cindy in Nzinga umbenannt hat, zu einer toxischen Abhängigkeit.


Insgesamt werden die Geschichten von zwölf Frauen* erzählt. Jede Frau* hat ihre eigene Story, ihre eigenen Ansichten, ihr eigenes Verständnis von Feminismus, Rassismus, gender policy usw.


„ich denke, in Zukunft sind wir irgendwann alle nicht-binär, weder männlich noch weiblich, was ja alles sowieso nur Genderperformance ist, und das heißt dann auch, Mumsy, dass deine Frauenpolitik überflüssig wird, abgesehen davon bin ich Humanistin, das spielt sich auf einer viel höheren Ebene ab als Feminismus“ („Mädchen, Frau, etc.“ - Bernardine Evaristo)

Gelesen auf: Deutsch

Nase zwischen den Seiten: 8 Abende

Seitenanzahl: 512 Seiten

Preis: 25,00€ (D)

Erschienen im Januar 2021 bei Tropen

ISBN: 978-3-608-50484-2


Leseerlebnis

Ausgesucht wegen Cover und Titel, habe ich das Buch in den Urlaub mitgenommen und hatte auf leichte Kost gehofft, die sich entspannt am Strand „weglesen“ lässt. Bekommen habe ich einen Roman, der mich zum Nachdenken gebracht hat, der so viele verschiedene Blickwinkel auf Themen wie Feminismus und Rassismus beleuchtet und der immer noch humorvoll ist. Diese gewisse Leichtigkeit, nach der ich gesucht habe, hatte ich auch in Mädchen, Frau, etc. gefunden. Allerdings eher in sprachlicher Hinsicht. Die Themen die behandelt werden, sind nämlich äußerst anspruchsvoll.


Anfangs gestört hat mich beim Lesen, dass es statt Punkten Zeilenumbrüche am Satzende gibt. Die Satzanfänge sind kleingeschrieben und es gibt keine Anführungszeichen. Zu Beginn ist das etwas mühselig, aber wenn man sich eingelesen hat, ist es kein Problem mehr.


Boobscore: 4 von 5 Boobs ( • ) ( • ) ( • ) ( • )

Frauen*power pur! Die ausschließlich weiblichen Protagonistinnen of Color zeigen einem richtig, wo es lang geht! Mädchen, Frau, etc. verdient meiner Meinung nach 4 von 5 Boobs. Das Buch ist kein Regelwerk für Feminist*innen, sondern eine anschauliche Präsentation verschiedener Ansätze - manche lassen sich nachvollziehen, manche eher nicht. Da einem aber keine Meinung aufgedrückt wird, kann man selbst entscheiden, welche Ansichten man teilt und wo man mit seinen Anschauungen abweicht.


Evaristo schildert wunderschön, wie jede Generation mit gleichwertigen aber eben anderen Problemen umzugehen hat. Die eine wettert gegen das Patriarchat und kämpft für sexuelle Befreiung und Selbstbestimmung, während die andere sich über die Schulden nach dem Studium, den Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt und den Klimawandel den Kopf zerbricht. Neben vielen anderen Themen veranschaulicht Evaristo auch eindrucksvoll die Spaltung älterer Generationen zwischen dem Integrieren in ein neues Land und dem Bewahren der eigenen Kultur.


„als Carole ihr erzählte, sie werde einen Weißen heiraten, es war der Anfang vom Ende ihrer rein nigerianischen Abstammungslinie
ihre Kinder werden hellere Hautfarbe haben, und deren Kinder werden aussehen wie Weiße
nach nur zwei Generationen zu verschwinden
ist es das wofür wir nach England gekommen sind?“ („Mädchen, Frau, etc.“ - Bernardine Evaristo)

Literarisches Feuerwerk?

Die von Evaristo gewählte Sprache ändert sich überzeugend mit den Figuren. Eine Frau* Anfang 20, die in London geboren wurde, hat ja auch einfach ein anderes Vokabular als ihre Mutter oder ihre Großmutter. Ich hatte das Gefühl, dass Evaristo immer treffend die jeweilige Stimmung des Charakters ausgedrückt hat. Manchmal ernsthaft, manchmal witzig, manchmal derb, aber immer kurzweilig!


Stoff zum Nachdenken

Ansichten zu Rassismus und auch Feminismus sind unterschiedlich! Das zeigt Evaristo in ihrem Buch Mädchen, Frau, etc.. Es ist ganz menschlich, dass wir zu so komplexen Themen nicht alle die gleiche Meinung haben.


Bestes Geburtstagsgeschenk für …

… Freundin*innen, die auf kurzweilige Unterhaltung und humorvolle und schlaue Literatur stehen. Für Menschen, die nur einen begrenzten oder konservativen Horizont haben, ist das Buch eher nichts.


Happy Hour

ein britischer Gin Tonic zur tea time ist ein Muss!


Zu dieser Lebenslage passt das Buch

Zu jeder. Ich habe es im Liegestuhl am Strand in Ligurien gelesen, aber genauso eindrucksvoll und unterhaltsam ist das Buch, wenn man es im Winter eingekuschelt in einer Decke liest.


A little Bio never killed nobody

Bernardine Evaristo wurde 1959 als viertes von acht Kindern in London geboren. Für ihr Buch Mädchen, Frau, etc. hat sie 2019 als erste schwarze Schriftstellerin den Booker-Prize (dieser wichtige britische Literaturpreis wird jährlich seit 1969 verliehen) erhalten. Und es steht außer Frage, dass sie diesen auch verdient hat. Bernardine Evaristo hat zuvor schon sieben Bücher geschrieben (darunter auch Gedichte und Versromane), die alle bislang leider nicht in die deutsche Sprache übersetzt wurden. Wer aber Lust hätte weitere Bücher von ihr einfach auf Englisch zu lesen, den könnte diese Rezension im Guardian über Evaristos Buch Mr Loverman interessieren: https://www.theguardian.com/books/2013/aug/31/mr-loverman-bernardine-evaristo-review. Auf Boob Books hat Jana außerdem Blonde Roots von Evaristo rezensiert. Dieser Beitrag ist von unserer Gast-Rezensentin Luzie. Das schreibt Luzie über sich: Während mich meine Mutter als Kind immer zwingen musste zu lesen, habe ich nach dem Abitur eine regelrechte Lesemanie entwickelt. Von Romanen, über Sachbücher bis hin zu Comics lese ich alles gerne. In meinem Germanistikstudium habe ich den Fokus auf Neuere Deutsche Literaturwissenschaften gelegt. Die feministischen Comics von Liv Strömquist sind gerade meine absoluten Favoriten.


Neben meinem Studium arbeite ich noch in einem Theater in Düsseldorf, bepflanze meinen winzigen Balkon mit viel zu vielen Kräutern und Nutzpflanzen und lasse mich gerne von meinem Freund bekochen. Luzie hat auf Boob Books bereits Heimkehren von Yaa Gyasi rezensiert.


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