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"Im Spiegelsaal" von Liv Strömquist


Worum geht’s?

Liv Strömquists Im Spiegelsaal ist kein klassisches Buch, sondern - wenig überraschend - ein Comic. Eine Handlung im klassischen Sinne gibt es nicht. Stattdessen stehen Themen im Fokus, die episodenhaft bebildert und durch kleine Geschichten und philosophische Thesen miteinander verbunden werden: Schöheitsideale heute und im Laufe der Zeit, Celebrities und ihre Spaltung zwischen privatem und öffentlichem Ich, der narzisstische Druck/Verlockung durch Social Media und wie unser ständiges sich-selbst-Anstarren dazu führt, dass dieses mit Filtern überlagerte Abbild von uns auf Instagram zum größten Rivalen bzw. zur Rivalin für uns selbst werden kann. Klingt etwas abstrakt? Ist es auch, und eben das macht Im Spiegelsaal zu einem interaktiven Erlebnis und einer philosophischen Reise zu sich selbst, in die Vergangenheit und zu Marilyn Monroe’s Hotelzimmer.


“Egal, um was es geht, immer gibt es jemanden, der darin anscheinend besser ist, ob es sich nun um Schönheit, Intelligenz, Gesundheit oder um einen konkaven Bauch handelt.” (“Im Spiegelsaal” - Liv Strömquist)

Gelesen auf: Deutsch

Nase zwischen den Seiten: 2 Stunden

Seitenanzahl: 168

Preis: 20,00€ (D)

Erschienen im Oktober 2021 beim avant-Verlag

ISBN: 978-3-96445-062-3


Leseerlebnis

Mit Comics hatte ich bis zu Im Spiegelsaal wenig Erfahrung. Entsprechend geziert habe ich mich anfangs, mich dem Text und den Bildern zu nähern. Aber einmal aufgeschlagen konnte ich nicht mehr aufhören - und habe Im Spiegelsaal in einem Zug durchgesuchtet. Die Zeichnungen, Texte, Farben und Fonts sind so abwechslungsreich, dass ich immer dran bleiben wollte. Unbedingt darauf einlassen, es lohnt sich! Und unbedingt einen Stift oder Buntstifte bereithalten! Es wird interaktiv. ;)


Boobscore: 5 von 5 Boobs ( • ) ( • ) ( • ) ( • ) ( • )

Für diesen Comic müssten wir den Boob Score eigentlich erhöhen: Im Spiegelsaal greift so viele Aspekte um Körperideale und um den (postmodernen) Schönheitswahn auf, dass eine einzige Rezi dafür definitiv nicht reicht. Wie hängt z. B. unsere “fuckability” mit dem Gefühl der permanenten Unsicherheit und der Suche nach Liebe zusammen? Wie spielt historisch das Modell der Ehe in unsere Verzückung bzw. unseren Neid mit hinein, wenn wir uns das Insta-Profil von Kylie Jenner anschauen? Wie hat die Theorie der “Ästhetik des Glatten” von Byung-Chul Han mit Feuchtigkeitscremes und Schönheits-OPs zu tun?

Das Wunderbare an Im Spiegelsaal ist, dass allgegenwärtige Zustände unserer Gesellschaft nicht bloß aufgerollt werden. Liv Strömquist verknüpft alles mit historischen Begebenheiten (herrlich witzig betitelt und bebildert) und mit philosophischen Erklärungen zum aktuellen Status Quo. Ihr Stil ist dabei aber nicht vom ständig erhobenem Zeigefinger bestimmt, sondern oft selbstkritisch und vor allem ironisch. Im Spiegelsaal zeigt auf, wie wir zwar oft in der Lage sind, über die Zustände um uns herum zu reflektieren, aber dann doch wieder zurück in den Strudel um Sorgenfalten, graue Haare und das Konkurrenzdenken rutschen. Wie Kaiserin Sissi, wie Schneewittchens (Stief-)Mutter, wie Kylie Jenner, sind auch wir ständig im Spiegelsaal gefangen, konfrontiert mit dem tatsächlichen Abbild von uns selbst, während wir auf Facebook aber noch das retuschierte Bild von uns vom letzten Urlaub bewundern können.


Eine Geheimwaffe oder coping strategies? Liv Strömquist bringt ein paar Ideen vor, z. B. die Rückbesinnung auf die Schönheit im Moment, die Suche nach der Verbindung zu sich selbst und dem eigenen Körper und die Konfrontation mit der immer wiederkehrenden Tatsache, dass alles vergänglich ist. Warum also nicht das beste aus jedem Tag machen? Wie schon Winnie Pooh sagte: “Heute, mein Lieblingstag!”


“‘Die Haut von Kim Kardashians Gesicht ist glatt wie die Glasur auf einer Torte oder die Oberfläche einer Kopfschmerztablette. Sie ist friktionsfrei. Als wäre sie mit einem Film überzogen, damit man sie leichter schlucken kann.” (“Im Spiegelsaal” - Liv Strömquist)

Literarisches Feuerwerk?

Zum Comic passt die Kategorie nicht ganz, denn Text, Bild und Farben ergeben zusammen ein wirkmächtig Ganzes, ein Spektakel, bisweilen abgründig, tiefsinnig, aber vor allem ironisch und FUN!


Stoff zum Nachdenken

Es gibt eigentlich keine Seite, kein Zitat und keine Zeichnung, die nicht zum Nachdenken anregt - über sich selbst, das Gesellschaftssystem, der historische Ursprung vieler Dinge (wie beispielsweise, warum lange Fingernägel bei Frauen* als sexy gelten und Männer* according to the norm kurze Haare tragen), über Lehmklöße (kleiner Text-Insider). Auch wenn ich Im Spiegelsaal durchgesuchtet habe: Nehmt euch Zeit dafür. Lasst die Bilder und die Messages auf euch wirken, macht euch vielleicht sogar Notizen, legt den Text mal kurz weg und dann wieder auf. Denn ich bin mir sicher, dass viele der Dinge, die euch zum Nachdenken anregen, noch wochenlang nachwirken werden.


Bestes Geburtstagsgeschenk für …

… jede*n mit einem Spiegel, einem Social Media-Profil und/oder einem Selfie-Stick!


Happy Hour

Vielleicht ein Glas Milch oder Bratensoße? Sissi wär’ am Start!


Zu dieser Lebenslage passt das Buch

Ihr habt als Vorsatz für 2022 einen digital Detox geplant, oder friert eure Social Media-Präsenz und das never-ending Feed-Scrolling mal ganz ein? Dann ist der beste Zeitpunkt für Im Spiegelsaal (aber eigentlich ist der IMMER!).


A little Bio never killed nobody

Die Schwedin Liv Strömquist werden viele von euch für ihre Graphic Novel Der Ursprung der Welt (ebenfalls erschienen im avant-Verlag) kennen. Doch die Frau hat noch so viel mehr drauf: als feministische Comiczeichnerin illustriert sie für schwedische Magazine und Zeitungen. Außerdem hat sie inzwischen ein ganzes Oeuvre an Graphic Novels und Comics zu bieten, die alle mit feministischem Schwerpunkt die Strukturen unserer Gesellschaft hinterfragen - mit Witz, Sarkasmus und vielen historischen Referenzen.




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