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"Die Sommer" von Ronya Othmann



Worum geht’s?

Leyla wächst in Deutschland als Tochter einer Deutschen und eines jesidischen Kurdens auf. Die Sommer verbringt Leyla jedoch in Syrien bei der Familie ihres Vaters. Während im kleinen Dorf in Syrien Tel Khatun die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, lebt Leyla den Großteil des Jahres in Deutschland und so entfaltet sich ein Spagat zwischen zwei Welten.

Während sich das erste Drittel in Die Sommer ausschließlich der Beschreibung der Sommer in Tel Khatun widmet, beschäftigt sich der zweite Drittel weitgehend mit Leylas Leben in Deutschland und der Zerrissenheit ihres Vaters, der den Arabischen Frühling, beginnend im Winter 2010, zunächst mit Enthusiasmus, dann immer mehr mit Resignation vor dem Fernseher in Deutschland verfolgt. Zu der Zeit ist Leyla gerade einmal ein Teenager und setzt sich natürlich mit super vielen Themen auseinander, mit denen man sich da eben so beschäftigt, zum Beispiel dem ersten (Girl-) Crush. Aber eben weniger mit der Politik des Nahen Ostens. Erst im letzten Drittel des Buches wird auch Leylas Zerrissenheit beleuchtet. Wie kann sie denn bitte nächtelang tanzend und lachend in Leipziger Clubs verbringen, während ihr zweites Zuhause in Syrien zerstört und das Leben ihrer Familie und Bekannten auf dem Spiel steht? Es ist zum Verzweifeln.

Auch wenn sich der Roman zu Beginn sehr schleppt, ist er wundervoll geschrieben. Ronya Othmann hat es literarisch einfach echt richtig drauf und hat eines der besten Bücher 2020 geschrieben. Das sag’ nicht nur ich! Siehe Bio!

“Zu gehen, dachte ich damals, sagte der Vater zu Leyla und blickte sie über den Küchentisch hinweg an, ist in erster Linie eine Abfolge von Schritten, mehr nicht. Es sind bloß Schritte” ("Die Sommer" - Ronya Othmann)

Gelesen auf: Deutsch als Rezensionsexemplar

Nase zwischen den Seiten: 10 Abende

Seitenanzahl: 295

Preis: 22, 00€ (D)

Erschienen im August 2020 bei Hanser Literaturverlage

ISBN: 978-3-446-26760-2

Tipps & Tits

Bei mir hat es etwa hundert Seiten gebraucht, bis ich im Roman drin war. Gebt dem Buch eine reelle Chance. Wenn ich das Buch nicht hätte rezensieren wollen, hätte ich vielleicht nicht mehr als fünfzig Seiten gelesen. Klar, ich hätte nie erfahren, was ich verpasse. Das wäre jedoch äußerst schade gewesen!

Boobscore: 4 von 5 Boobs ( • ) ( • ) ( • ) ( • )

Meiner Meinung nach ist Die Sommer, ein super feministischer Roman! Im Buch wird euch in jedem Fall vor Augen geführt, wie unterschiedlich das Frauenbild in Syrien ist, im Gegensatz zu dem in unserer westlichen Welt. Dass Frauen mit 15 heiraten ist keine Seltenheit. Es geht nicht um “Liebe” sondern um den Brautpreis, der der Familie ausgezahlt wird. Und trotzdem: Das Buch wimmelt nur so von starken Frauen. Leylas Großmutter zum Beispiel. Sie ist für das Wohlergehen der ganzen Familie zuständig. Wird sie krank, geht auch sonst nichts mehr im Hause Hussain. Oder Leylas Tante, die wider aller Konventionen Single bleibt und sich lieber mit Büchern von Charlotte Brontë und Charles Dickens die Zeit vertreibt, als mit Männern oder Partnerschaften im Allgemeinen. Leyla wird in Deutschland auch immer wieder Opfer von Alltagsrassismus. Ronya Othmann arbeitet diesen aber geschickt in den Roman mit ein und sieht von einem “Ins-Gesicht-klatschen” der Thematik ab. Das subtile Thematisieren dieser Problematiken führt zu einem noch stärkeren Wow-Effekt à la „Darüber habe ich echt noch nie nachgedacht“. Schnell fragt man sich, ob man nicht auch schon mal eine binationale Freundin gefragt hat, ob sie sich mehr zu Land X oder Land Y zugehörig fühlt. Auch wenn Leyla deutsch ist, muss sie mit dem Nachnamen “Hussain” immer noch ein Stück mehr aufpassen was sie sagt und macht. Ihre Eltern achten penibel auf die Einhaltung aller gesellschaftlicher Regeln, um rassistischen Klischees gar keinen fruchtbaren Boden zu bieten. Dass sich Leyla zu guter Letzt in die schöne Sasha verliebt, ist natürlich noch einen extra Boob-Punkt wert. LGBTQI* for the win!

Literarisches Feuerwerk?

Yes! Begnadete Schriftstellerin, 100 Prozent. We love and support!

Stoff zum Nachdenken

Die Romanheldin Leyla beschäftigt sich immer wieder mit der “Was-wäre-wenn-Frage?”. Das heißt: Was wäre, wenn sie anstatt in Deutschland einfach in Syrien aufgewachsen wäre. Hätte man einen Brautpreis für sie gezahlt und wäre sie mit Anfang 20 bereits verheiratet gewesen? Was wäre mit ihrer Liebe zu Frauen geworden und dem Studium der Literaturwissenschaften? Alles müßige Gedankengänge, denen es aber nicht schadet nachzuhängen, um sich der globalen Differenzen immer mal wieder bewusst zu werden.

“Keine Revolution begann nur mit einer Sprühdose. Ohne vierzig Jahre Unterdrückung hätte es diese Revolution nicht gegeben” ("Die Sommer" - Ronya Othmann)

Bestes Geburtstagsgeschenk für…

… die Menschen in eurem Umfeld, die den Mix-up von Literatur und Politik mögen. Dieser Roman verbindet auf eine wundervolle Art und Weise beides miteinander. Das Buch ist, wie schon erwähnt, gar nicht so einfach runterzulesen, weshalb ich es nicht als Urlaubs- oder Sommerroman verschenken würde. Trotz des Titels.

Happy Hour

Raki! Auf den bekommt man einfach richtig Lust beim Lesen.

Zu dieser Lebenslage passt das Buch

Dieser Roman ist hochpolitisch, weshalb ich der Meinung bin, dass er verpflichtende Lektüre in Schulen werden sollte. Wenn man das Buch (so wie wir alle) allerdings nicht in der Schule gelesen hat, dann zu sämtlichen Lebenslagen: zu melancholischen Sonntagen und fröhlichen Dienstagen.

A little Bio never killed nobody

Ronya Othmann wurde 1993 in München geboren. Studiert hat sie am Leipziger Literaturinstitut. Zu ihren bisherigen Preisen zählen:

● der MDR-Literaturpreis

● der Caroline-Schlegel-Preis der Stadt Jena, Förderpreis für Essayistik

● der Lyrik-Preis des Open Mike

● der Publikumspreis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs

Ja, ihr habt richtig gelesen, Ronya Othmann wurde 1993 geboren!! So jung und schon so viele geniale Preise! Mit Cemile Sahin schreibt Othmann übrigens die Kolumne Orient Express über Nahost-Politik. Uns gefällt das sehr! Daumen hoch für Ronya Othmann!!



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