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"Das ist dein Leben" von Meg Wolitzer



Worum geht’s?

Dottie Engels ist erfolgreiche Comedienne in den USA der 1970er Jahre. Ihre Witze basieren meistens auf ihrer massiven Statur und ihrer Lust am Exzess, speziell beim Essen. Überall gefragt und ständig auf Reisen, verbringt Dottie wenig Zeit mit ihren beiden Töchtern Erica und Opal, die zuhause in New York von weniger bekannten Komiker*innen gebabysittet werden. Erica, die Ältere, ist zu Beginn des Buches ein Teenie, der sich lieber zurückzieht, mit ihrem Freund Jordan den ersten Sex und Drogen ausprobiert und sich mental schon auf “die Rolle der Dicken” vorbereitet, da sie überzeugt ist, körperlich nach ihrer Mutter zu schlagen. Opal hingegen ist lebensfroh, Dotties größter Fan und vor allem anpassungsfähig. Ihr macht es nichts aus, dass Dottie durch ganz Amerika reist statt sich um ihre Töchter zu kümmern, während Erica Dottie dies zum Vorwurf macht.


“Meine Mutter, der Mond, dachte Opal. Meine Mutter, die Explosion. Wie gebannt starrte sie hin, unsterblich verliebt in ihre Mutter, wie das halbe Land.” (Das ist dein Leben - Meg Wolitzer)

Das Buch erzählt aus wechselnden Perspektiven die “Coming-of-Age”-Geschichten von Erica und Opal, deren Leben trotz Distanz unweigerlich mit dem ihrer Mutter verbunden bleibt. Während Erica in ihrem Übergewicht und in sinnlosem Dahinfristen versinkt, geht Opal an die Yale-Universität zum Studieren, wo sie sich aber ebenso wenig zurechtfindet. Über die Zeit geht Dotties Karriere den Bach hinunter. Für Erica und Opal, als Frauen ebenso verschieden zueinander wie zu ihrer Mutter, stellen sich immer mehr die Fragen nach Familie, Selbstfindung und Identität.


Gelesen auf: Deutsch

Nase zwischen den Seiten: 11 Abende

Seitenanzahl: 384

Preis: 24 € (D)

Erschienen im Oktober 2020 beim DuMont-Verlag, mit Dank an DuMont für das Rezensionsexemplar

ISBN: 978-3832181352


Leseerlebnis

Mein erster Wolitzer-Roman überraschte mich mit seinem dichten Stil und seinen verspielten, wenn auch komplexen, Vergleichen. Normalerweise lese ich zügig, aber an dem Buch habe ich wirklich tagelang beharrlich geknabbert. Trotzdem war es eine tolle Leseerfahrung: Am Schluss ging es soweit bei mir, dass ich nachts von Erica und Opal träumte.


Boobscore: 3 von 5 Boobs ( • ) ( • ) ( • )

Leute, ganz ehrlich: Bei diesem Buch wusste ich in Sachen Boob Score echt anfangs keine Zahl zu vergeben. Das Problem: Mein Leserinnen-Herz würde gerne so viele Boobs mehr austeilen, einfach, weil Wolitzers Schreibstil so toll ist und viele Aspekte der Handlung Boobs verdienen. Aber ein zu hoher Score wäre anderen, hier bereits besprochenen Büchern gegenüber nicht fair. Daher nur drei.


Was Das ist dein Leben ganz toll aufgreift, ist der lebenslang andauernde Struggle der Frau mit dem eigenen Körper, zumindest in Bezug auf Erica und Dottie. Dotties Comedy-Karriere beruht auf Witzen, die sie auf Grundlage ihres eigenen Übergewichts reißt - über dicke Frauen machte man sich halt lustig. Bis der Zeitgeist sich wendet und Dottie auf einmal gesellschaftlich nur noch bedauernswert scheint. Erica wächst in dem übergewichtigen Schatten ihrer Mutter auf, kann sich eigentlich nur durch ihr massives Übergewicht identifizieren. Sonst hat sie nichts, sonst kann sie nichts, was in dem Sinne natürlich auch widerspiegelt, wie Frauen mit Übergewicht in der Gesellschaft stigmatisiert werden - im Zeitalter von Social Media schlimmer denn je, siehe Instagram und Facebook. Wofür ich den Roman hier besonders feiere ist, dass Gewicht und Identität eng verwoben sind und dass Erica nicht einknickt, ihr Gewicht zu reduzieren, um jemand anderes zu werden. Zu Dottie: Kein Spoiler-Alert an der Stelle.


“Dann rückte er näher, und zum ersten Mal nahm [Erica] den schieren Umfang ihres Körpers ohne Abscheu wahr.” (Das ist dein Leben - Meg Wolitzer)

Ein weiterer spannender Aspekt in Sachen Boob Score ist die Rolle von Dottie: Sie ist erfolgreich, eine “Karrierefrau” (whatever that means), jedenfalls nach dem Verständnis der 1970er Jahre in den USA. Um ihrem Beruf nachzugehen, “vernachlässigt” sie ihre Töchter. Zwar spricht das niemand außerhalb der Familie im Buch aus, sondern nur Erica selbst, aber die Zerrissenheit zwischen Job und Kindern für eine alleinerziehende Mom in den 1970ern ist ganz klar konstruiert. Durch die Figur von Dottie wirft das Buch entsprechend konstant die Fragen auf: Wie managen Alleinerziehende das eigentlich, ihre Kinder und den Job auf eine Kette zu kriegen? Und wie quetschen wir diese Menschen gesellschaftlich immer noch in die Rollen “Workaholic” und “Rabenmutter”, wenn sie eindeutig nicht beides sein können, ohne dass wir die Augenbrauen verziehend über sie urteilen? Letzter Punkt: LGBTQI* ist auch Thema, allerdings so clever eingewoben, dass es einem nicht ins Gesicht springt.


Literarisches Feuerwerk?

Unbedingt! Wolitzer verfügt über das einzigartige sprachliche Talent, ihre Charaktere förmlich aus den Buchseiten “herauszuschnitzen”. Jede Figur konnte ich beim Lesen vor mir sehen und hatte wahnsinnig Spaß dabei, Erica und Opal beim “Wachsen” zuzusehen.


Stoff zum Nachdenken

Eigentlich rattert die Hirnmaschine konstant: Wie schwierig muss das Leben für eine Comedienne in den 1970ern gewesen sein? Was hat sich seitdem wirklich verändert? Wie gehen wir mit Übergewichtigen (nicht nur Frauen*) in der Gesellschaft um? Und woher zum Teufel weiß Meg Wolitzer so viel über Drogen?? Scherz.


Bestes Geburtstagsgeschenk für…

… schätzungsweise alle eingefleischten Wolitzer-Fans. Aber auch so für jeden* und jede*, die richtig Lust auf ein spritziges Buch haben … über was eigentlich? Ich würde sagen: über das Leben, über Familienbeziehungen und darüber, dass es kein Patentrezept dafür gibt, erwachsen zu werden.


Happy Hour

Cantuccini mit Vino Santo! Hab’ das Buch im Toskana-Urlaub gelesen und hier erst diese Köstlichkeit kennengelernt. Wer’s lieber nahe am Buch mag: unbedingt ein Eclair in einem guten Café bestellen.


Zu dieser Lebenslage passt das Buch

Wie gesagt: Zum Urlaub passt’s wunderbar. Denn Zeit und Headspace sollte man mitbringen.


A little Bio never killed nobody

Meg Wolitzer ist Jahrgang 1959 und waschechte New Yorkerin. 1982 erschien ihr erster Roman kurz nach Abschluss ihres Creative Writing-Studiums. Inzwischen unterrichtet sie selbst Kreatives Schreiben. Zahlreiche ihrer Romane standen auf internationalen Bestsellerlisten und vier ihrer Bücher haben’s auf die Leinwand geschafft, darunter auch This is Your Life. Außerdem, und das freut uns besonders, veröffentlichte sie 2012 einen Essay mit dem Titel “The Second Shelf”, in dem sie über den Status von Schriftstellerinnen in der Buchbranche klagte: Die Bücher von Autorinnen schafften es oft nur ins “zweite Regal” (aka second shelf), dadurch markiert als weniger wichtige Neuerscheinungen. Plus: Laut Wolitzer labeln die Design-Entscheidungen für Werke von Autorinnen diese direkt als Chick lit, vom Cambridge Dictionary bezeichnet als “stories written by women, about women, for women to read”. Also: Geschichten geschrieben von Frauen über Frauen und für Frauen - Bridget Jones gehört zum Beispiel dazu.


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